Grundstellung
Eines der am häufigsten auftauchenden Wörter in den unzähligen Qi-Gong- und Yoga-Büchern und Texten, die ich gelesen habe, aber auch das wohl meistgehörte Wort als Schüler in meinen Qi-Gong oder Yogakursen war: „Grundstellung!“
Je nach Autor oder Lehrer wird diese Grundstellung mehr oder weniger ausführlich, mehr technisch oder auch mit pholosophischem Hintergrund vermittelt.
Im Rahmen meiner ganzheitsmedizinischen Behandlungen vermittel ich regelmäßig einzelne Bewegungsabläufe. Meistens ausgend von einer Grundstellung (und einer gewissen Grundeinstellung!).
Ich bin immer froh, wenn Patienten angeben, schon Yoga oder Qi Gong zu praktizieren, da ich dann in der Regel davon ausgehen kann, daß ich auf gewisse Grundlagen aufbauen und eine Grundstellung beispielweise als bekannt voraussetzen kann.
Um so erstaunter bin ich, daß es immer wieder Patienten gibt, die zwar schon Jahre Übungen praktizieren und/oder Kurse besuchen, sich aber mit dem Vorführen einer Grundstellung oder definierten Ausgangsposition recht schwer tun.
Auf einem Kongreß hatte ich mal einen dreitägigen Qi-Gong-Kurs belegt. Je zweimal dre Stunden täglich wurde geübt – und zwar nichts anderes alsdie Grundstellung!
Warum ist diese Grundstellung so wichtig?
An anderer Stelle hatten wir schon mal ausführlich über den Zusammenhang und das Einssein von äußerer Körperhaltung und innerer geistiger Haltung und seelischer Verfassung nachgedacht. Wir haben gesehen, daß die Körperhaltung das Yang zum Yin der inneren Haltung ist oder auch genau umgekehrt. Das ist der entscheidende Punkt und das Wichtige am niemals statischen Yin-Yang-Verständnis: Yang ist immer das, was Sie gerade bewegen und damit in Form bringen, Yin ist immer das, was bewegt wird, die Struktur, der Zusammenhalt. Damit erklärt sich die Möglichkeit, entweder mit dem Geist den Körper zu bewegen. Das können wir ganz bewußt tun, das tun wir aber auch fortlaufend unbewußt, wenn uns die Enttäuschung oder der Mißmut über irgendetwas beispielsweise die Schultern hängen läßt, Freude unsere Gesichtsmuskeln ein Strahlen hervorzaubern läßt oder Alltagsstreß unsere gesamte Rückenmuskulatur dauerhaft zu einem Buckel formt.
Wir haben aber umgekehrt auch die Möglichkeit, mit unserem Körper den Geist und die Seele zu bewegen!
Das können Sie jetzt und hier sofort testen: Schließen Sie am Ende dieses Satzes mal die Augen für etwa zehn Sekunden!
In den letzten zehn Sekunden hatten Sie sicher ganz andere Gedanken und Gefühle, als wenn Sie stur weitergelesen hätten. Nur durch das Herunterklappen Ihrer Augenlider haben sich Ihr Denken und Fühlen verändert. Das mit den Augen ist natürlich ein übersptitztes Beispiel zur Demonstration. Richten Sie sich mal vor Ihrem Bildschirm mit dem Oberkörper gerade auf, lockern Sie die Schultern etwas, die Füße stellen sie schulterbreit parallel zueinander auf den Boden und die Hände (so sie nicht Ihr Handy üder Tablet halten müssen) legen Sie locker auf die Oberschenkel ab. Jetzt spüren Sie wieder zehn Sekunden in sich! – Auch diese Körperhaltung ändert Ihr Denken und Ihren Gemütszustand. Allerdings auf viel subtilere Weise als beim Augenschließen.
Die Körperhaltung kann also unsere innere Haltung unseres Denkens und Fühlens durchaus bewegen. Nichts anderes sind die Bewegungen beim Qi Gong und in gewisser Weise auch beim Yoga: Wir machen unseren Körper zum Yang, um unser inneres Yin zu bewegen!
Damit kommt aber auch der körperlichen Grundstellung eine Schlüsselrolle zu, die unserer geistigen Grundhaltung entspricht!
Setzen Sie sich mal in ein Straßencafé und schauen Sie sich die vorbeiziehenden Menschen an. Oder die Menschen an den Nachbartischen. Achten Sie mal auf deren Körperhaltung. Wer geht gebückt, geduckt, mit kleinen mühsamen aber eiligen Schritten, wer hüpft quasi mit gerader Brust, den Kopf zum Himmel geneigt als würde er wunderbare Düfte einsaugen? Wer sitzt gekrümmt am Tisch mit ängstlich umherschweifendem Blick, wer sitzt aufrecht mit einem Lächeln und weit offenen Augen, die die Welt aufnehmen und sich an ihr erfreuen können?
Durch aufmerksames Beobachten der Körperhaltung und der Bewegung erfahren Sie oft viel mehr über einen Menschen als auf andere Art. Und das ist bei Ihenn genauso. Ihre körperliche Grundstellung vermittelt anderen Ihre geistige Grundhaltung.
Wenn Sie da nächste mal im Straßencafé sitzen, beobachten Sie sich einmal selbst. Achten Sie mal auf die Reaktionen Ihrer Mitmenschen an den anderen Tischen oder der Bedienung. Dann rutschen Sie mal etwas vor an die Stuhlkante, richten Ihren Oberkörper auf, lockern die Schultern, stellen Ihre Füße schulterbreit parallel fest auf, die Hände legen Sie locker auf den Oberschenkeln ab (ja, das Handy sollten Sie tatsächlich kurz beiseite legen!) und schauen mit dem Kopf richtung Horizont, als sei ergenau in der Mitte an einem Himmelsfaden befestigt.
Und jetzt achen Sie erneut auf die Blicke und Reaktionen der Mitmenschen um Sie herum.
Machen Sie das ruhig öfters. Gehen Sie öfters in Ihr Starßencafé und trainieren Sie Ihre Wahrnehmung und Ihr Gefühl für die Verbindung von innerer und äußerer Haltung!